Das Thema Tierwohl und Tierschutz ist in aller Munde und gewinnt immer mehr Beachtung in der Gesellschaft. Wir möchten uns in diesem Beitrag der Frage widmen, inwiefern Milchleistungszucht als Qualzucht bezeichnet werden kann.
In diesem Zuge wird aktuell auch von verschiedenen tierärztlichen Verbänden (Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft e.V., Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V., Bundesverband der beamteten Tierärzte e.V., Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. und Bundetierärztekammer e.V.) diskutiert, ob die Leistungszucht beim Milchvieh laut Definition als Qualzucht anzusehen ist.
Dies ist eine heikle Diskussion, zu einem emotional belasteten Thema, bei der Fakten zu oft nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Ganz klar ist: Die Haltung und das Management, insbesondere die Fütterung von Milchviehherden und deren Gesunderhaltung mit gleichzeitig ökonomischem Erfolg erfordert nicht nur viel Knowhow von allen Beteiligten, sondern ebenso eine ständige Fortbildung und Weiterentwicklung der Betriebe. Daher arbeiten wir täglich daran, Kühe und ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und dieses Wissen an Landwirte zu vermitteln.
Milchleistungszucht und Daten
Wer uns kennt weiß, dass wir unheimlich gerne Daten sammeln. Wir nehmen alles an Zahlen, was wir bekommen können, egal wie sinnig oder unsinnig das der/m Landwirt:in zunächst erscheinen mag. Und das bewährt sich sehr. Denn durch akribisches Protokollieren dieser Daten im Abstand von max. vier Wochen, können wir Qualzuchtvorwürfe wie genetisch erhöhte Gesundheitsrisiken klar widerlegen. Und weiter noch, diese immer auf Managementprobleme im Bestand oder Einzeltiererkrankungen zurückführen.
Diese protokollierten Werte möchten wir gerne anhand der Daten von zwei Betrieben veranschaulichen:
Dabei handelt es sich um zwei Familienbetriebe mit jeweils mehreren Angestellten. Die durchschnittliche Zahl der melkenden Kühe lag 2020 in Betrieb A bei 288 Kühen, in Betrieb B bei 265 Kühen.
Zuchtziel
Beide Betriebe suchen für die Zucht gezielt Anpaarungen raus, die aus ihrer Sicht eine Aufwertung der Genetik darstellt.
So werden von Landwirt A Bullen für die Anpaarung ausgeschlossen, die sehr steil stehende Hinterbeine vererben. Denn diese Nachkommen haben gehäuft Rücken- und Klauenprobleme. Für ihn ist es zudem besonders wichtig, dass die Tiere einen guten Zuchtwert Euter haben und gute Inhaltsstoffe vererben. Die Leistung steht dabei also nicht im Vordergrund. Landwirt A sagt zudem „Entscheidend ist die Fütterung, nicht die Genetik.“
Landwirt B sucht seine Anpaarungsbullen unter anderem, durchaus nach der Leistung aus. Der Zuchtwert für Milch, RZM, soll für ihn bei 140 liegen. Die Leistung sollte bei 1500 kg Milch liegen, aber auch die Milchinhaltsstoffe müssen stimmen. Außerdem ist ihm aber auch das Exterieur wichtig. Auch er achtet auf die steilen Hinterbeine, die am besten einen Winkel von 110 haben sollten. Auf die Beckenneigung und die Fundamente wird ebenfalls geachtet. Einen Bullen, der das alles in sich vereint ist, mitunter schwer zu finden.
Es wird also das Augenmerk in der Auswahl der Bullen nicht nur auf die Leistung gelegt, sondern vor allem auch auf körperbauliche Merkmale, von denen wir wissen, dass sie zur Gesunderhaltung des Bewegungsapparates beitragen.
Kondition
Auf beiden Betrieben messen wir regelmäßig alle 4 Wochen die Rückenfettdicke und nehmen alle relevanten Fütterungs- und Gesundheitsdaten in unserem Protokoll auf. Auf Betrieb A sind wir seit ca. 5 Jahren tätig, im Betrieb B erst seit ca. 3 Jahren. Beide Betriebe produzieren ihre Grundfuttermittel selbst.
Die Rasse Holstein (überwiegend Schwarzbunt) ist die häufigste Rasse in beiden Ställen. Wir sprechen hier also über DIE Hochleistungskuh im Milchviehsektor.
Der Vorwurf der Qualzucht bei Hochleistungskühen greift vor allem das Thema „Leistung und Körperkondition“ auf. Laut dem Bericht „Leistungen der Milchkühe und deren Gesundheitsrisiken“ der Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Leistungszucht beim Nutztier“ der Bundestierärztekammer vom 07.02.2021 besteht ein „genetischer Antagonismus zwischen Milchleistung und Futteraufnahme (=chronische Unterernährung = negative Energiebilanz)“ bei Milchkühen. Unsere Fakten sagen etwas gänzlich anderes.
Betrieb A hat im Jahr 2020 durchschnittlich 36,7kg Milch pro Kuh/ Tag gemolken, bei Betrieb B war es fast genauso viel, nämlich 36,5 kg Milch pro Kuh/ Tag. Damit kommen beide Betriebe auf eine Jahresleistung pro Kuh von über 12.000 Liter Milch. Dank der regelmäßigen Erfassung der RFD, können wir aber guten Gewissens sagen, dass die Tiere nicht chronisch unterversorgt sind.
Denn auch in der RFD sind sich die Herden von Betrieb A und B sehr ähnlich:
- Im Dezember 2020 hatten die Kühe inklusive der Trockensteher eine durchschnittliche RFD von 28,8 mm (A) und 28,9 mm (B).
- Der Anteil absolut zu magerer Tiere mit weniger als 20 mm RFD ist auf beiden Betrieben mit 5 % (A) bzw. 2 % (B) gering
- Der Anteil überkonditionierter Kühe (über 35 mm RFD) mit 14 % (A) bzw. 18 % (B) im Vergleich dazu hoch.
Wir haben hier also absolut kein Problem mit einer chronisch zu dünnen Herde.
Futteraufnahme
Auch die Behauptung, dass Kühe aus der Milchleistungszucht nicht genug Futter aufnehmen können, um den Energiebedarf für so hohe Milchleistungen zu decken, entspricht nicht der Realität. Beide Herden und weitere aus unserer Klientel schaffen Trockenmasseaufnahmen von über 23 kg pro melkender Kuh und Tag und mehr als 14 kg TS-Aufnahme pro Kuh und Tag bei den Trockenstehern. Wir sehen also ganz deutlich: Stellt man den Kühen rund um die Uhr qualitativ hochwertige Rationen zur Verfügung, können enorme Trockenmasseaufnahmen und damit auch hohe Energieaufnahmen erreicht werden. Entscheidend ist hierbei natürlich immer die Rationszusammenstellung, die auf die Besonderheiten der Wiederkäuerverdauung abgestimmt sein muss und den Pansen nicht übersäuert.
Milchleistungszucht und negative Energiebilanz
Bei dem viel genannten „Problem“ der negativen Energiebilanz, die die Tiere abmagern lässt und krank macht, muss man sich die Physiologie der Säugetiere vor Augen führen. Denn nicht nur für Kühe, sondern auch für viele andere Säugetierarten ist die Ketose ein normaler, zeitlich begrenzter Stoffwechselzustand um den Zeitpunkt der Geburt des Nachwuchses. Dieser Stoffwechselprozess ermöglicht es den Tieren, Körperfett abzubauen und in für die Zellen nutzbare Energie umzuwandeln. Es handelt sich zunächst also nicht um einen krankhaften Zustand, sondern um die Reaktion eines gesunden Tieres auf einen erhöhten Energiebedarf. Entscheidend ist, dass die Aktivierung des Immunsystems in der Phase der Ketose ein Übermaß an Energie in Form von Glukose verbraucht. Das wiederum kann die Kapazität der Tiere, Fett in der Leber zu Glukose umzuwandeln, überfordern. Und erst in diesem Moment wird die Ketose zum Gesundheitsproblem.
Wir sagen:
Aus all diesen Daten geht hervor, dass hohe Milchleistung und abgemagerte Kühe nicht zusammen gehören. Das Gegenteil ist der Fall. Nur Kühe, die gesund und gut konditioniert sind, sind auch in der Lage hohe Milchleistungen über einen längeren Zeitraum abzurufen. Milchleistungszucht ist damit nicht gleich Qualzucht. Das Management der Kühe, die genetisch in der Lage sind, Leistungen von >12.000 kg Milch zu bringen, gehört aber ganz klar in die Hand von Profis mit viel Wissen über Kühe und ihre Bedürfnisse.